Die Sache mit der Leidenschaft

 

„Finde deine Leidenschaft, und du wirst nie wieder arbeiten müssen.“ Das hat er gesagt, an einem dieser Abende, die man nicht vergisst. Ich erinnere mich noch gut an ihn, wie er auf der Bühne stand, mit einer Präsenz, die laut und klar war und auf eine gewisse Weise stark. Dieser eine Satz blieb bei mir. Ich habe ihn eingepackt, still in mein Inneres gelegt, wie man eine besondere Muschel mitnimmt vom Strand, wissend, dass man sie später in den Händen halten wird, wenn der Moment längst vergangen ist.

 

Ich trage diesen Satz seither mit mir, als Erinnerung an ihn, einen Fremden, der sich für einen Moment so vertraut anfühlte und gleichzeitig als inneren Kompass. Als etwas, das mich immer wieder daran erinnert, warum ich tue, was ich tue. Weil ich daran glaube, dass es etwas in mir gibt, das nicht einfach nur getan werden will, sondern gelebt. Aber was bedeutet das eigentlich, die eigene Leidenschaft zu finden?

 

Wie erkennt man sie, in einer Welt, die voll ist mit Erwartungen, mit Regeln, mit Alltag und Struktur? Wo man funktioniert, aber nicht immer fühlt. Wo man Leistung bringt, aber nicht immer brennt. Ich frage mich oft, wie viele Menschen ihre Leidenschaft unterdrücken, weil sie nicht ins System passt. Und ich denke manchmal im Scherz wenn jemand sagt, seine Leidenschaft sei das Chaos oder das Rauben von Banken, dann wird es natürlich schwierig, sie auszuleben. Aber genau dieser Gedanke zeigt doch, wie sehr wir lernen mussten, zwischen guter und schlechter Leidenschaft zu unterscheiden. Zwischen akzeptierter und unerwünschter. Zwischen sicherer und gefährlicher.

 

Ich bin in Griechenland aufgewachsen. Ein Land, in dem Leidenschaft nicht erklärt wird, sie ist einfach da. Sie bewegt sich durch die Strassen, in den Stimmen der Menschen, in der Art, wie sie lachen, reden, feiern, streiten. Dort fragt man nicht: „Was ist deine Leidenschaft?“, man lebt sie einfach. Man ist, Man fühlt, Man zeigt. Ohne sich zu verstecken, ohne zu überlegen, ob es angebracht ist. Es ist Teil der Kultur. Teil der Identität. Hier, wo ich jetzt lebe, ist das anders. Leidenschaft wird leise gelebt. Man spricht selten über sie. Oft wirkt sie wie etwas, das man besser für sich behält. Etwas Privates, vielleicht sogar etwas Unpraktisches. Und doch habe ich das Gefühl, dass so viele Menschen in sich eine Flamme tragen, die darauf wartet, entfacht zu werden. Nur fehlt oft der Mut oder die Erlaubnis oder die Sprache.

 

Ich selbst habe lange gebraucht, um meine Leidenschaften ernst zu nehmen. Ich habe gezeichnet, bevor ich sprechen konnte und geschrieben, sobald ich das Alphabet kannte. Aber ich habe es jahrelang als Hobby betrachtet, als Nebensache als etwas, das ich liebe, aber niemals zum Beruf machen könnte denn die Angst war zu gross.

 

Heute sehe ich das anders. Heute weiss ich, dass Schreiben und Malen meine Werkzeuge sind. Werkzeuge, um etwas viel Tieferes auszudrücken. Denn was ich wirklich liebe, ist Kommunikation, Verbindung, das Teilen von Gedanken. Ich liebe es, Räume zu schaffen, in denen sich Menschen wiedererkennen, in denen etwas anklingt, etwas bewegt. Ich liebe es, zu erzählen, zum Nachdenken anzuregen und Worte zu finden für Dinge, die man schwer benennen kann. Ich liebe es, auszusprechen, was oft unausgesprochen bleibt und jedes Mal, wenn ich schreibe oder male, spüre ich, dass ich genau da richtig bin, dass ich nichts lieber tun möchte.

 

Aber es gibt auch andere Dinge, die ich gerne mache, wie zum Beispiel mir Gedanken über den Klimawandel zu machen und darüber, wie ich etwas dazu beitragen könnte, die Welt ein bisschen besser zu machen. Ich liebe es, im Garten zu arbeiten und Tiere zu retten. Ich liebe es, spazieren zu gehen und ab und zu andere Menschen für Dinge zu kritisieren oder zu korrigieren, die ich als falsch empfinde. Sind das nicht auch Leidenschaften von mir ?

 

Was ich damit sagen möchte, ist, dass es nicht die eine Leidenschaft gibt. Denn Leidenschaft ist viel mehr als der Versuch, etwas zu finden, das man mag, das man geniesst oder das man gut ausübt. Leidenschaft ist ein Instinkt, den wir alle in uns tragen, von Anfang an und der nur darauf wartet, gespürt und gelebt zu werden. Wir sollten Leidenschaft nicht mit unseren Fähigkeiten verwechseln. Denn jeder Mensch ist zu vielem fähig, auch wenn er es selbst vielleicht nicht weiss. Aber nicht jeder empfindet dieselbe Freude oder Lust an denselben Dingen – und genau das macht Leidenschaft so besonders. Sie ist das, was uns begeistert, was uns erfüllt, was uns gut tut. Sie zeigt sich in allem, was wir gerne tun und dabei echte Freude empfinden ganz ohne Zahlen, ganz ohne Grenzen.